An das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend,
an die verantwortlichen Akteure der Engagementpolitik des Bundes,
mit großem Interesse haben wir, die Landesarbeitsgemeinschaft der Freiwilligenagenturen Niedersachsen (LAGFA Niedersachsen), die vorliegende Engagementstrategie des Bundes gelesen. Wir würdigen ausdrücklich das Engagement der Bundesregierung, die Bedeutung des freiwilligen Engagements für unsere Gesellschaft anzuerkennen und eine Strategie für dessen Förderung zu entwickeln. Dennoch sehen wir als Vertreter einer landesweiten Organisation, die tagtäglich mit den Bedürfnissen der Ehrenamtlichen und der Förderung zivilgesellschaftlichen Engagements befasst ist, erhebliche Schwachstellen und ungenutzte Chancen in der Strategie.
Dieser offene Brief soll konstruktive Kritik und konkrete Verbesserungsvorschläge formulieren, um das große Potenzial der Strategie voll auszuschöpfen.
Fehlende Konkretisierung und Praxistauglichkeit
Die Strategie beschreibt wichtige Ziele, wie den Schutz vor Anfeindungen oder die Stärkung des Engagements in Krisenzeiten. Was jedoch fehlt, sind klare und praxistaugliche Maßnahmen. Allgemeine Formulierungen wie „Engagement krisenfest machen“ oder „digitale Transformation begleiten“ bleiben abstrakt und bieten keinen Handlungsleitfaden für die Akteure vor Ort.
Unsere Empfehlung:
- Verbindliche Maßnahmenpläne mit klaren Zuständigkeiten und überprüfbaren Zielen sind erforderlich.
- Beispiele aus der Hamburger Engagementstrategie, wie die Einrichtung von Förderfonds für lokale Projekte oder der gezielte Ausbau von Freiwilligenagenturen, zeigen, wie solche Maßnahmen konkret gestaltet werden können.
Vernachlässigung der föderalen Struktur
Die Strategie erkennt die föderalen Zuständigkeiten an, ohne jedoch wirksame Mechanismen zur Koordinierung zwischen Bund, Ländern und Kommunen zu schaffen. Lokale Akteure wie Freiwilligenagenturen oder Landesarbeitsgemeinschaften wie die LAGFA Niedersachsen, die in der direkten Förderung aktiv sind, werden nur unzureichend berücksichtigt.
Unsere Empfehlung:
- Ein bundesweites Koordinationsgremium sollte eingerichtet werden, um den Dialog und die Zusammenarbeit zwischen allen föderalen Ebenen zu fördern.
- Erfolgreiche Ansätze des Bundesprojekts „Hauptamt stärkt Ehrenamt“ zeigen, wie eine gezielte Unterstützung auf lokaler Ebene Wirkung entfalten kann. Dieses Projekt ist ein positives Beispiel, das weiter ausgebaut und verstetigt werden sollte.
Ressourcen und Finanzierung
Ein wesentlicher Schwachpunkt der Strategie ist die fehlende finanzielle Verbindlichkeit. Maßnahmen werden unter Haushaltsvorbehalt gestellt, was die Umsetzung und Planungssicherheit erheblich erschwert. Ohne ausreichende finanzielle Mittel können viele zivilgesellschaftliche Projekte nicht realisiert werden.
Unsere Empfehlung:
- Ein Engagementfonds auf Bundesebene sollte eingerichtet werden, um eine nachhaltige und flexible Förderung zu ermöglichen.
- Klare Finanzierungszusagen für Freiwilligenagenturen und ehrenamtsfördernde Strukturen sind notwendig, um Planungssicherheit zu gewährleisten.
Vernachlässigung benachteiligter Zielgruppen
Die Strategie betont zwar die Diversität des Engagements, bietet jedoch kaum konkrete Ansätze zur Förderung benachteiligter Gruppen wie Menschen mit Behinderungen oder Migrationshintergrund. Hier bleibt sie hinter den Möglichkeiten zurück.
Unsere Empfehlung:
- Die erfolgreiche Arbeit von Projekten wie den Willkommenshelfern aus Osnabrück zeigt, wie niedrigschwellige Angebote Menschen mit Behinderungen in Engagementstrukturen einbinden können. Solche Modelle sollten bundesweit adaptiert werden.
- Spezifische Förderprogramme, die Jugendliche und Menschen mit Migrationshintergrund ansprechen, könnten die Vielfalt des Engagements bereichern.
Ungenutzte Chancen
Die Strategie bietet eine einzigartige Gelegenheit, innovative Ansätze und Standards für die Engagementförderung auf nationaler Ebene zu etablieren. Doch weder digitale Plattformen noch steuerliche Anreize oder Pilotprojekte für innovative Fördermodelle werden ausreichend berücksichtigt.
Unsere Empfehlung:
- Ein nationales Engagementportal könnte den Zugang zu freiwilligem Engagement erleichtern und den Austausch zwischen Akteuren fördern.
- Pilotprojekte zur Erprobung neuer Ansätze, wie steuerliche Vorteile oder Anerkennungssysteme, sollten initiiert werden.
Fazit
Die Engagementstrategie des Bundes setzt wichtige Impulse, bleibt jedoch hinter ihrem Potenzial zurück. Als LAGFA Niedersachsen sehen wir großen Nachholbedarf in der Konkretisierung der Maßnahmen, der föderalen Zusammenarbeit, der Ressourcensicherung und der Einbindung benachteiligter Zielgruppen.
Wir appellieren an die Bundesregierung, die Strategie im Dialog mit Akteuren aus der Praxis weiterzuentwickeln und die Bedürfnisse der Freiwilligen vor Ort stärker in den Mittelpunkt zu rücken. Freiwilliges Engagement ist eine der tragenden Säulen unserer Demokratie. Es verdient eine Strategie, die Mut zur Innovation und Klarheit in der Umsetzung zeigt.
Mit freundlichen Grüßen,
Die Landesarbeitsgemeinschaft der Freiwilligenagenturen Niedersachsen (LAGFA Niedersachsen)
Dieser offene Brief soll als Einladung verstanden werden, den Dialog über die Weiterentwicklung der Engagementstrategie des Bundes fortzusetzen. Wir stehen für Gespräche und Kooperation jederzeit zur Verfügung.